Freitag, 15. Dezember 2017

Der wandernde Musikant

Muͤrriſch ſitzen ſie und maulen
Auf den Baͤnken ſtumm und breit,
Gaͤhnend ſtrecken ſich die Faulen,
Und die Kecken ſuchen Streit.

Da komm' ich durch's Dorf geſchritten,
Fernher durch den Abend kuͤhl,
Stell' mich in des Kreiſes Mitten,
Gruͤß' und zieh' mein Geigenſpiel.

Und wie ich den Bogen ſchwenke,
Ziehn die Klaͤnge in der Rund'
Allen recht durch die Gelenke
Bis zum tiefſten Herzensgrund.

Und nun geht's ans Glaͤſerklingen,
An ein Walzen um und um,
Je mehr ich ſtreich', je mehr ſie ſpringen
Keiner fraͤgt erſt lang: warum? —

Jeder will dem Geiger reichen
Nun ſein Scherflein auf die Hand —
Da vergeht ihm gleich ſein Streichen,
Und fort iſt der Muſikant.

Und ſie ſeh'n ihn froͤhlich ſteigen
Nach den Waldeshoͤh'n hinaus,
Hoͤren ihn von fern noch geigen,
Und gehn All' vergnuͤgt nach Haus.

Doch in Waldes gruͤnen Hallen
Raſt' ich dann noch manche Stund',
Nur die fernen Nachtigallen
Schlagen tief aus naͤcht'gem Grund.

Und es rauſcht die Nacht ſo leiſe
Durch die Waldeseinſamkeit,
Und ich ſinn' auf neue Weiſe,
Die der Menſchen Herz erfreut.

aus: Joseph von Eichendorff - Der wandernde Musikant


(Anm.: Wunderbar vertont von "Jahrtal")