Montag, 24. Februar 2020

Das "Gute", moralischer Referenzrahmen und kognitive Dissonanzen


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Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht will. 20 Wenn ich aber das tue, was ich gar nicht will, dann bin nicht mehr ich der Handelnde, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 Ich stelle also ein Gesetz des Bösen in mir fest, obwohl ich doch das Gute tun will.

- Römer 7,19-21

 Obige Verse brachten mich heute ein wenig ins Grübeln. In letzter Zeit fühle ich mich häufig mit der Fragestellung nach dem Referenzrahmen, in dem das menschliche Handeln zu bewerten ist, konfrontiert. Einige Christen sagen, dass der Mensch ja aus sich garnichts Gutes vollbringen kann und nur durch die Gnade Gottes besteht. In einem Gespräch verdeutlichte jemand seine Vorstellung vom "christlichen" Leben des Menschen als eine Art Videospiel, in dem man ständig "stirbt", also scheitert, es aber im Endeffekt nichts macht, weil Gott ja vergibt.

Hm... mich hat das alles ein bisschen nachdenklich gestimmt. Das Leben als end- und sinnlose Arbeit eines Sisyphos? Ob es so gesund ist, sich selbst nach einem unglaublich hohen Maßstab (nämlich einem "göttlichen Maßstab") zu bewerten, in dem man ja zwangsweise immer scheitern muss? Ändert das etwas, dass man sich das Scheitern dann nachher durch eine geglaubte oder gedachte Gnade Gottes wieder aus dem Logbuch herausstreicht? Ich weiß nicht. Insgesamt glaube ich nicht, dass solches Denken so gut ist. Habe selber auch immer wieder an der Frage gekaut und daran gelitten und mittlerweile sage ich, dass ich es für besser halte, an menschliches Tun keinen göttlichen Maßstab anzulegen um dann wieder in der Kiste für Sünder zu landen. Selbst wenn es einen Gott gibt, der vergibt, ich halte es auf lange Sicht für die psychische Gesundheit absolut schädlich, immer in diesen Negativkategorien zu denken und all sein Tun nach der Himmelsschablone zu messen. Mag sein, dass Christen hier und da irgendwelche Sonderlehren und Tricks (Entschuldigung, ich nenne das jetzt einfach so.) einbauen von wegen "Wir sind von uns aus böse, jedoch: Wiedergeburt im heiligen Geist, dadurch sind wir frei und können dann endlich das Gute so tun, wie Gott das von uns will und wir können seine Taten tun... ... ...", mit denen das Dilemma dann gedanklich umgangen werden kann. Aber... nee... passiert nicht, behaupte ich. Es gibt keinen Menschen auf der Erde, der, legt man den "Himmelsmaßstab" an, nicht in Sekunden zur Vollpfeife mit einem extremen Moraldefizit wird. Steile These.

Ich nehme da jetzt noch eine andere Kurve. Mein Vorschlag ist nämlich nicht, uns deswegen nun zu einer "Gruppe schwächlicher Versager und böser Unholde e. V." zusammenzuschließen und den lieben langen Tag auf gelben Plastikstühlen zu hocken und zu jammern: "Ach, ach, was sind wir böse und schlecht, und Gott, Gott ist so gut, aber wir, wir sind so schlecht...", sondern ich schlage vor, dass wir in gewisser Hinsicht menschliches Verhalten lieber nach einfachen menschlichen Maßstäben bewerten. Und dann auch bei uns selber feststellen: "Moment mal, oft bin ich gar kein solches Monster". Einiges kriegt jeder hin, wenn man als Maßstab nur einfach die entsprechende Situation des entsprechenden Menschen heranzieht. Demut angesichts der Gegenwart Gottes (für Christen) oder des vergleichsweise geringen Handlungsradius des Menschen (für Atheisten oder Astronomen) oder der Größe aller Vorgänge im Universums ist gut und ein wichtiges Korrektiv, keine Frage.
Aber für das menschliche Leben nehme man vielleicht besser doch das menschliche Leben als Bezugspunkt. Dann muss man auch nicht verzweifelt und in Selbstzerfleischung auf das Eingreifen des heiligen Geistes oder des neuen sowjetischen Menschen warten um endlich perfekt sein zu können, sondern man kann einfach auch mal perfekt-unperfekt herumwursteln und sich eigenverantwortlich auch mal über was freuen oder sich selbst auf die Schulter klopfen bei den nicht wenigen Malen, bei denen ein jeder das wohl auch verdient. Und Gott dafür danken.