Freitag, 3. Februar 2017

Freitags, die Rückkehr des Manottidils

Wie versprochen und angedroht, folgt nun der nächste Teil meines Buchs vom Manottidil:
(Teil 1 hier)


Fortsetzung:


Am Rande des Flusses lebte zu jenen Zeiten ein seltenes Wesen, von dem ich nun erzählen will. Besagtes Wesen wurde als Manottidil bezeichnet, wie es dazu gekommen ist, das erfahren wir noch genauer. Das Manottidil, das, wenn man genau ist, zu Beginn dieser Geschichte noch nicht Manottidil genannt wird, sah einem Krokodil nicht unähnlich, nur war es kleiner, kräftig geschuppt mit einem gesunden, rötlichen Teint, und anders als bei einem Krokodil flackerte das Irrlicht milden, freundlichen Größenwahns, wie wir ihn bei Museumsdirektoren kurz vor der Pensionierung oder malenden Postboten finden, durch sein Angesicht, wenn besagtes Manottidil seinem Gegenüber bei einem Glas maltesischen Rotweins tief und forschend in die Augen blickte (was jedoch zu damaligen Zeiten den wenigsten Menschen passiert sein dürfte).
Viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, hatte das Manottidil unscheinbar auf einer Sandbank des Flusses gelebt, kaum beachtet von der Welt. Es hatte dort seine jetzige Ehefrau Julisanda kennen gelernt, Hochzeit, Hochzeitsnacht und Flitterwochen hatten ebenda stattgefunden. Mit seiner Lage war das Manottidil nicht unzufrieden gewesen und nie wäre es auf den Gedanken gekommen, sich zu beschweren

Eines Tages, das Manottidil war soeben dabei, halluzinierend in seinen gewohnten Nachmittagsschlaf zu versinken, ereignete sich folgende folgenreiche Begebenheit:
Wie eingangs erwähnt, pflegte in der Stadt große Verwirrung zu herrschen, und Ideen jeder Farbe, Form und Größe waren stark nachgefragt im Volk. Diese Erscheinung der Mode hatten sich findige Buchdrucker und Verlage zu eigen gemacht und entsendeten regelmäßig würdig gekleidete Herrschaften dorthin, um Bücher aus Reihen mit klangvollen Namen wie „Der philosphistische Edelmann“, Mensch, Natur und Weltall, Gott im Ganzen oder Kant, Montesquieu und andere Scheußlikeiten feilzubieten.
Eben ein solcher Vertreter spazierte, Herr Manottidil sah gerade einer Schmeißfliege nach, die es für einen prachtvollen siebenfarbigen Schmetterling hielt, am Flussufer rechts neben der Sandbank vorbei.
Potz Schlapperment!dachte das Manottidil,Ein Hut, ein Anzug, und darunter ein Mensch! Wollte schon immer mal probieren, wie so was schmeckt. Sprachs und verzehrte den Vertreter, der auch durch sein gewinnendstes Verkäuferlächeln die Gnade des seltsamen Geschöpfes nicht erhaschen konnte samt einer Werkausgabe von Winckelmanns gesammelten Schriften zur Kunstgeschichte, Lemerys Vollständigem Materialien-Lexicon und einer Enzyklopädie des Weltwissens in 4277 Bänden samt einem Nachwort von Prof. Dr. Claudius Augustinus Seemann, als Anhänger feiner Tischsitten jedoch nicht, ohne vorher den makellosen Nadelstreifen-Anzug von der unerwartet kommenden Speise zu entfernen und diesen feinsäuberlich zusammenzulegen.

Aber! groß war die Reue auf solche TatUnser Geschöpf, normalerweise strenger Verfechter von Selbstzucht und maßvollen Lebensstils, konnte seine eigene Impulsivität kaum fassen und lief grübelnd so lange am Flussufer auf und ab, bis man die so entstandene Linie bis aus dem Weltraum sehen konnte, und manch eine in diesem Moment an der Erde vorbeisausende, abergläubische Sternschnuppe mag die Striche am Ufer so für einen ägyptischen Zwilling der Nazca-Linien gehalten haben.

Es war bereits Nacht geworden, als sich die von dem Manottidil als Beilage verzehrten Buchstaben und die von ihnen transportierten Lehren vom Magen ins Gehirn vorgearbeitet hatten und dort ihre Wirkung zu entfalten begannenEs lief mit ungewohnt festem Schritt zurück an die Stelle seines nachmittäglichen Mahles, schlüpfte, erst zögernd, dann immer selbstverständlicher, in die feinen Kleidungsstücke des unglücklichen Verzehrten, warf einen Blick in den runden, silbernen Vollmond, um sich in den Wassern seiner Mondmeere zu spiegeln und stellte fest, dass es so, elegant und geschäftstüchtig auf zwei Beinen in der großen, krummen Welt stehend, einen enorm beeindruckenden Anblick darbot. Nun wurde ihm klar, auch unter dem Einfluss der nun minütlich stärker wirkenden, über den Magen aufgenommenen Bildungsinhalte, dass wohl hier an diesem Fluss, in dem Blechbüchsen und Bastkörbchen trieben, der eher braun als blau war, kein Staat zu machen war und die Welt das Manottidil geradezu rief, laut und klar, und im Hintergrund der geisterhaften Szenerie, noch hinter den neben dem Fluss liegenden Palmenhainen, zogen schwere Wolken auf und ein Gewitter entlud sich in der Ferne, wie zu den Zeiten der Titanen, als die Götter des alten Griechenlands geboren wurden.

Frau Julisanda, die das ungewöhnliche Schauspiel, welches ihr Ehemann seit dem Nachmittag aufführte, kritisch und leicht besorgt beobachtet hatte, konnte schließlich nicht mehr abwarten und sie trat neugierig äugend aus dem Schatten der Palmen heraus.

Ihr Ehegemahl schaute immer noch gebannt und bezaubert in den Nachthimmel, wo sich in den Meeren des Mondes sein Ebenbild spiegelte. Als Herr Manottidil schließlich Notiz von seiner Frau nahm, trat er einen wohldosierten Schritt nach vorne und setze mit balsamischer Baritonstimme zu singen an:

Die Weltenkönigin ruft laut uns in die Lande zu spazieren
Und heißt ein treues Bild zu machen uns von ihren Reichen
Sie mahnt uns dies und jenes überall vergleichen
Von hier bis wo die Wetterwinde Sinfonien dirigieren!
Wir wollen uns entsprechend dann in Bälde auch besinnen
Und nichts als Mut und Lust und Zuversicht gewinnen.“

Das Manottidil tat dann ein paar beherzte und erstaunlich grazile Sprünge und zeigte mit seinen Klauen wie ein fröhlich Wahnsinniger in alle Himmelsrichtungen, wobei es munter die Namen London! Shang-Hai! Budapest! Ma-da-gaskar! ausrief, als wären es alte Busenfreunde, unterbrochen nur von theatralisch deklamierten Zitaten aus Wilhelm Müllers „Winterreise“. Frau Julisanda hatte sich inzwischen abgesetzt und spazierte einige Schritte den Fluss entlang. Als sie zurückkam, schüttelte sie nur leise seufzend den Kopf, drückte ihrem Gemahl die Klaue und murmelte „Was auch immer, aber ich begleite dich.“

Das Geschöpf war nun guter Dinge. Ausgestattet mit Bildung, Erdbeermarmelade, Thunfischkonserven, und mit einem sündhaft teuren Nadelstreifenanzug fühlte es sich bereit zum Sprung in die große Welt hinaus.

Voll Schaffenskraft, Labkrautschwärmern, paranoider Echos wonnemonatlicher Panikattacken, dem Hallen verschlafener Priesterstimmen in Gespensterseminaren, packte es seine Taschen.
Noch in derselben Nacht durchhasteten Frau und Herr Manottidil die sogar zu dieser Zeit noch tosende Stadt, wo einige Religionsgemeinschaften gerade hohe Feiertage einläuteten. Sie wühlten sich durch die Menge aus Derwischen, Priestern, aufgehetzten Gläubigen und Süßwarenverkäufern, drängelten Polizisten, alte Frauen und Taschendiebe zur Seite, bis sie den alten Hafen erreicht hatten, wo sie das venezianische Dampfschiff Papst Laurus IV. und Siebenschläfer bestiegen.



...................Fortsetzung folgt! .................................................................................................