Samstag, 24. April 2021

Maria, die Bibel, Fragen und das mystisch-theologisch-historische Omlette

 



Ein paar Tage hatte ich nun Probleme mit meinem Rechner. Diese sind nun in garnicht so komplizierter Weise gelöst worden, sodass ich nun wieder frei bin, mich in den Weiten des Weltnetzes zu verlustieren und allerhand Dinge zu betreiben.

Momentan stoße ich im Zuge meiner Glaubensrecherchen immer wieder auf die Themen, die mir manchmal Schwierigkeiten machen. Da geht es um das Wunderbare. Ich bin teilweise in einer Welt groß geworden, die einen vielleicht ein bisschen eigenartigen Begriff von Realität gepflegt hat. Da waren weder für Wunder Platz, noch eigentlich überhaupt für große Hoffnungen in Teilen. Was nun wohl dazu führt, dass mir manchmal die Wunderberichte der Evangelien oder ähnliches Probleme bereitet.
Dieser Tage wollte ich mehr über die Verkündigung des Herrn (Lk 1,26–38) und allgemein die Rolle der Maria herausfinden bzw. darüber nachdenken. (Ich warne gleich zu Beginn davor, dass hier Lücken enthalten sein werden. Ich habe jetzt nicht das Ziel, eine komplette Marienlehre hier zu entwickeln. Es sind ein paar skizzierte Gedanken, mehr zum eigenen Nachdenken als für irgendeine Art der Lehre)
Da kommt besagte hoffnungslose Kindheit bei mir wieder hervor. Ein Engel tritt bei Maria ein und verkündet ihr Gottes Plan. Kann das sein? Folgende Gedanken habe ich dazu:

1. Der einzige Grund, warum nicht grundsätzlich tatsächlich der Engel Gabriel bei Maria erschienen sein soll, ist die (unzulässige da nur mit sich selbst begründbare) Grundannahme, dass nunmal Engel niemandem erscheinen könnten, sie nach Annahme der Mehrheitsbevölkerung wahrscheinlich garnicht existieren oder nur Metaphern für gute Menschen oder sonstwas sind.
Lässt man diesen "Vorabstempel", das nicht begründbare Vorurteil weg, kann man es vielleicht so sehen: Ein allmächtiger Gott, für dessen Existenz vernünftige Argumente bestehen, kann natürlich, wie die christliche Lehre auch beinhaltet, Engel geschaffen haben, die dann in seinem Namen auch z. B. einer Maria erscheinen können. Nirgendwo steht im Text, dass diese Engel jedem erscheinen, noch dass sie es am laufenden Band tun. Das wäre z. B. etwas, was ich nicht glauben könnte oder als Lehrsatz akzeptieren würde, weil es auch relativ leicht zu widerlegen wäre. Kurz gesagt: Wo es einen Gott geben kann, kann es sehr wohl auch Engel geben, die dann auch in seinem Auftrag erscheinen können.

Ob nun tatsächlich ein Engel der Maria erschien oder nicht, Lukas hat es im Großen und Ganzen in der heute vorliegenden Form aufgeschrieben. Dafür muss ein Grund bestehen. Dass er es "einfach so" getan hat und sich der Text dann über mehr als 1000 Jahre mit dem Hintergrund "Na so halt, klang halt irgendwie geil..." erhalten und im Leben der Kirche bewährt hat, halte ich für relativ unwahrscheinlich.
Daher kann angenommen werden, dass der Text für die Kirche und den Leser so einen gewissen Mehrwert hat. Ob Lukas nun historisch darüber informieren wollte, was damals passiert ist, weiß ich nicht sicher, wie oben dargelegt kann in Hinblick auf Vernunft ein gewisser historischer Kern aber durchaus angenommen werden ohne Schaden. Falls man das nicht möchte oder wie ich z. B. manchmal an der Art der Sprache des Textes anstoß nimmt und man sich deswegen nicht an der grundsätzlich auch nicht beantwortbaren Frage nach dem historischen Kern der Verkündigungserzählung aufreiben möchte, kann auch nach dem theologischen Gehalt der Erzählung gefragt werden, was uns zu Punkt 2 bringt.

2. Es kann in den Text zumindest in Teilen eine nachösterliche Weltsicht eingeflossen sein. Die Jünger haben nach Ostern den auferstandenen Jesus erlebt. Aus der für sie daraus gewonnenen Einsicht in die Gottessohnschaft Jesu erfolgt auch ein Nachdenken und Deuten von Jesu Geburt und der Vorgeschichte: Der Sohn Gottes wird von einem Engel angekündigt, was gewissermaßen die himmlische Komponente unterstreicht. Der Engel Gottes spricht Jesu Mutter direkt an, diese gibt im Dialog mit dem Engel ihre Zustimmung. Das ist quasi die menschliche Komponente. Jesus ist sowohl Mensch als Gott. Himmel und Erde berühren sich in ihm, wenn man das so sagen darf.

3. Maria kann in all dem auch als quasi Lehrerin der Kirche betrachtet werden. Ihr Verhalten im Text ist somit praktischer Rat an die Kirche. Die Kirche hat ebenso den Sohn Gottes vom Heiligen Geist und quasi von Engeln verkündet erhalten. Die Kirche verkündet den auferstandenen Christus und verwaltet die Sakramente, besonders das Abendmahl/die Eucharistie. Die Erzählung bei Lukas und das ihr folgende kann dann quasi wie eine Lehrgeschichte gelesen werden:

a) Die Christen sollen vertrauensvoll ja zum Wirken Gottes im eigenen Leben, in der Kirche, etc. sagen. b) Nicht der Mensch macht den Glauben, sondern er kommt von Gott. Der Text kann als Einladung verstanden werden, vor allem im Gebet und in der Andacht Gottes Weisung zu erwarten.
c) "Die Kirche" (damit meine ich hier auch immer die einzelnen Menschen, die sich in ihr bewegen) ist nichts statisches, sondern bewegt sich, soll sich bewegen, und muss auch immer neuen Dingen begegnen, so wie Maria beim Besuch bei Elisabet, auf der Hochzeit zu Kana, unter dem Kreuz...
d) Unabhängig davon, ob nun Maria tatsächlich dem Engel Gabriel im Dialog ihre Zustimmung zum Plan Gottes so gegeben hat, hat sie zumindest durch ihr Handeln in Jesu Leben auch ihr ja gegeben. Sie hat Jesus großgezogen, so wie jede Mutter ihre Kinder großzieht. Sie hat auch die verschiedenen durchaus schwierigen Stationen mit durchgemacht, ich denke da z. B. an die Zurückweisungen durch Jesus an verschiedenen Stellen in den Evangelien.
Letztenendes hat vielleicht auch ein inneres Ja erfordert zu sehen, dass der eigene Sohn eben nicht wie ein normaler Junge dann den Zimmermannsbetrieb in Nazaret übernimmt, sondern eine andere Aufgabe hat. Das mit wichtigste "Mir geschehe nach deinen Wort!" der Maria finde ich die Tatsache, dass sie gemäß der Texte des Neuen Testaments später ja selbst auch zum Kreis der Jünger gehörte, die nach der Auferstehung zum Glauben an Jesus gekommen sind. (Was für mich auch wieder ein gutes Argument für die Stichhaltigkeit der Auferstehungsberichte ist).
Dementsprechend kann man durch das Bedenken der Texte über Maria auch selbst versuchen, ein Ja zum eigenen Weg mit Gott, inklusive Zweifel, Brüchen und unangenehmen Erlebnissen, durch den eigenen Lebensverlauf zu finden.

Denke, die ein oder andere Sache, die ich vorhin noch im Kopf hatte, habe ich jetzt vergessen. Die Liste ist unvollständig, außerdem wahrscheinlich fehlerhaft und nicht ganz perfekt strukturiert. Man verzeihe mir. Ich bin ja weder Theologe noch Philosoph. So findet sich das.

Zusammenfassung: Die Erscheinung des Engels (und andere mysteriöse, verstörende oder schwierige Berichte der Bibel) müssen nicht grundsätzlich als Fiktion oder frommes Fabulieren abgetan werden (sollten sie auch nicht), wenn man nicht schon vorab die Annahme hat, dass es nichts derartiges wie Wunder oder Übernatürliches geben kann. Im Zweifelsfall sollte man sich aber immer genauer mit dem konkreten Buch der Bibel und dem konkreten Text, seiner Geschichte, seiner Rezeption in der Kirche, etc. beschäftigen, da die Bibel kein Gedächtnisprotokoll oder Polizeibericht ist oder sein will und etliche verschiedene Textgattungen enthält sowie auch in den einzelnen Texten diese Textgattungen manchmal nicht sauber trennt. Ein Diakon hat mir mal gesagt, die Bibel wäre "ein Märchenbuch". Das ist sie nicht und ich fand diese Aussage relativ schrecklich. Wenn man es salopp sagen will, würde ich die Bibel als göttlich inspiriertes mystisch-theologisch-historisches Omlette bezeichnen, und zwar deswegen, weil auch niemand auf den Gedanken käme zu versuchen, das Omlette feinsäuberlich zurück in seine Einzelbestandteile zu zerlegen... nur als Ganzes macht es Sinn.

Texte wie die Erzählung von der Verkündigung des Herrn bringen(siehe Omlette-Vergleich) dann den meisten Gewinn, wenn man sich nicht mit Nebenschauplätzen in der Interpretation aufreibt, sondern wenn man mit einer Haltung des Vertrauens ("Es muss etwas geschehen sein - Es ist eine Botschaft für die Menschen aller Zeiten enthalten - Es ist eine Botschaft auch für mein konkretes Leben enthalten.") und im Gebet den Text aufnimmt, wie man eine Speise aufnimmt. Als Referenz fällt mir hier noch die Rede vom Essen des Fleisches (Johannes 6,54) ein, die hier für mich auch als guter Gedanke zu einer Herangehensweise an manche Texte der Bibel passt.

Es kann helfen, die Auferstehung im Blick zu behalten und sich bei den Texten auch immer die Frage gegen den Zweifel oder Unverständnis zu stellen: "Der Umstand, warum dieser Text so geschrieben und weitergegeben wurde, hat einen Grund. Warum wurde dieser spezielle Text so verfasst und über die Jahrtausende weitergereicht?"