Mittwoch, 10. Januar 2018

Schöne Müllerin, leicht obsessiver Müllersbursche

Heute habe ich mir das erste Mal seit längerer Zeit mal wieder die Vertonung der "Schönen Müllerin" von Franz Schubert (wunderbar gefühlvoll und glaubhaft dargebracht von Matthias Goerne und Christoph Eschenbach, auf CD gebannt von der Harmonia Mundi) angehört.
Dabei ist mir in meiner Funktion als Wortklauber und Erbsenzähler eine recht fröhliche Eigenheit aufgefallen. Dem Werk gemäß ist es ja immer der Bursche, der eben von seinen Gefühlen für die titelgebende "Schöne Müllerin" erzählt. Und wie er erzählt, unser Bursche, blumig, begeistert, in den schillerndsten Farben und stärksten Bildern ... doch moment! Bursche, sag, was nährt dein Gefühl eigentlich, was bringt dich zu solchen starken Aussagen wie:

"Frühling, sind das alle deine Blümelein?
Sonne, hast du keinen hellern Schein?
Ach, so muß ich ganz allein,
Mit dem seligen Worte mein,
Unverstanden in der weiten Schöpfung sein!"
(Lied 11, "Mein!")

oder zu solch hingebungsvollen Anrufungen der Geliebten wie:

"O laß mich nur von ferne stehn,
Nach deinem lieben Fenster sehn,
Von ferne, ganz von ferne!
Du blondes Köpfchen, komm hervor!
Hervor aus eurem runden Thor,
Ihr blauen Morgensterne!"
(Lied 8, "Morgengruß")

?

Ja, der Bursche ist, ganz offensichtlich, Feuer und Flamme für die Tochter des Müllers. Nach der kurzen Einleitung (Lied 1-3) aus der Wanderzeit des jungen Müllers (In Lied 4 klingt ja eigentlich schon etwas vom Liebesfeuer für die schöne junge Frau durch. Zumindest als Ahnen, als Funken) wird gejubelt und in Liebesglut geschwelgt.



Aber: Was sagt denn eigentlich sie dazu, die "Schöne Müllerin"? Und, man höre und staune, der Gesamtschatz der Äußerungen des Fräuleins in wörtlicher Rede erschöpft sich in folgendem Satz an den jungen Müller, bei einem Abend oder einer jungen Nacht gemeinsam am Bach sitzend:

" ... Sie sprach: Es kommt ein Regen,
Ade, ich geh' nach Haus."
(Lied 10, "Tränenregen")

Ähm... okay. Nicht unbedingt das, was ich als eine stürmische Liebeserklärung durchgehen lassen würde. Und danach, was kommt danach? Lied 11, mit dem Titel "Mein!"
Und unser Müller überschlägt sich förmlich:

"Bächlein, laß dein Rauschen sein!

Räder, stellt eur Brausen ein!
All' ihr muntern Waldvögelein,
Groß und klein,
Endet eure Melodein!
Durch den Hain
Aus und ein
Schalle heut' ein Reim allein:
Die geliebte Müllerin ist mein!"

Nun... falls ihn seine Angebetete nicht zufällig nachts noch angerufen hat oder ihm eine SMS geschrieben hat, wovon wir Leser und Hörer nichts wissen können, macht mich das doch etwas stutzig, möchte ich den Müllersburschen, der ja durchaus meine Sympathie hat, leicht am Ärmel ziehen und ihm sagen: "Du, Kollege, ich freu mich ja für dich, aber... meinst du nicht, dass das etwas übertrieben ist? Was hat sie doch gleich als letztes zu dir gesagt?" Und er hätte dann auch wirklich gut dran getan, auf solche Ermahnungen zu hören.

" ... Sie sprach: Es kommt ein Regen,
Ade, ich geh' nach Haus."
...s
o geht es dann auch fast zwangsweise in den Untergang, die Müllerin läuft mit dem kraftmeierischen und vitalen Jägersmann davon und unser Müllersgeselle ertränkt sich in seinem Bach. Tragisch!

In diesem Sinne: Gute Nacht!