Samstag, 4. März 2017

Nächstes Manottidil

Im Brachland, März 2017

Gestern, freitags, hat sich das Manottidil unangekündigt einfach einen Tag frei genommen, und somit seine allfreitägliche Rückkehr diese Woche auf Samstag verschoben...

Nach Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 5 der Saga vom sinnenbegabten Schuppentiers nun der sechste Abschnitt meines Buchfragments (ich muss in Zukunft etwas sparsamer posten, wenn ich so langsam weiterschreibe...) :

Es wird Zeit für das Abendessen. Wollen Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu essen? Und, gesetzt den Fall Sie beide stimmen zu, heute Abend wird am örtlichen Theater ein kleines Stück gegeben, und Sie möchten es vielleicht sehen. Es ist ein allegorisches Stück, wie es heißt.“

Beide Eheleute nickten erfreut, versprach all das doch einen genußvoll verbrachten Abend.


Nach dem Mahl, bei dem man allerhand bunte Meeresfische, gebraten, gesotten und aufs Edelste gewürzt verzehrt hatte, begab man sich in Richtung des Stadttheaters, eines protzigen Renaissancebaus, umsäumt von buschigen Bäumen, umstanden von Laternen, die für ein angenehmes Licht sorgten. Auf der Bühne sollte heute das Stück „Der Gang ins Elysium über die hohen Stufen des Tempels der Fortuna“ gezeigt werden, ein wahrhaft episches Werk aus der Feder eines der ansässigen Professors, für das es ohne Pause einer Spielzeit von sechs geschlagenen Stunden bedurfte.

Auf dem Vorplatz des Theaters tummelten sich bereits die Würdenträger und Kunstfreunde San Giacomos. Es wurde gelacht und geistreich parliert, man trug Mäntel aus Hermelin, prunkvolle Hüte in Pyramidenform, überall Glitzern und Gleißen. Auch das Manottidil war königlich herausgeputzt. Auf der Nase trug es eine goldene Brille und um seine Gesetztheit noch besser zum Ausdruck zu bringen, hatte es sich eine bordeauxrote Schärpe umgebunden. Frau Julisanda hatte ein neckisches Hütchen auf dem Kopf und war in ein moosgrünes Abendkleid gekleidet.
Vor dem Theater stand ein kleines Orchester und spielte eine ernste barocke Sarabande.
Im Vorbeigehen kaufte das Manottidil einem der Straßenhändler, von denen es am Platze nur so wimmelte, eine Tüte gebrannter Mandeln ab. „Knack knack, köstlich!“ murmelte es voll Wonne und machte eine dramatische Geste in Richtung des Blechmondes am Abendhimmel.

Das Orchester vollendete die Sarabande und trat ab. Die Pforten des Musentempels wurden aufgetan und das erlesene Publikum eingelassen. Das Innere des Gebäudes war ganz Geschichte, Samt, Marmor, Gold. Freundliches Personal half den Besuchern aus den Mänteln und wies Plätze ein. Man nahm gespannt seinen Sitz ein, Julisanda, Maurizio, das Manottidil, man tuschelte nächtliche Geheimnisse, bis das Licht erlosch und die Vorstellung begann. Das Bühnenbild zeigte einen antiken Tempel. Auf dem Boden lagen unzählige Rosenblüten verstreut, an beiden Enden der Bühne waren Räucherschalen aufgestellt, in denen köstlichster indischer Weihrauch verbrannt wurde, was im Publikum zu gelegentlichen Wahnen und Hustenanfällen führte. Der Hintergrund der Szenerie bestand aus einem Leinentuch, das man kunstfertig mit verschiedengroßen Himmelskörpern, einem Halbmond und der goldenen Sonne bemalt hatte. Nun nahm das Spiel seinen Beginn.

Zuerst betrat der Gott der Zeit die Bühne und begann mit mächtiger Stimme einen Vortrag an das Publikum. Das Rad der Zeit drehe sich ewig, die Zeit sei das einzige Ding auf Erden, dass ewig bestünde. Selbst die Erde sei nicht ewig und die Götter warteten nur auf eine günstige Gelegenheit, diesen Ort voll Unrat, Frevel und Gestank zu beseitigen. Man tue gut daran, in der Zeit zu Leben, demütig die Minuten und Sekunden, die zur Verfügung stünden, zu nutzen und seiner Zeit zu gedenken.

In dieser Art erklang der Sermon des Gottes eine gute halbe Stunde, bis eine als Justizia gekleidete Mezzosopranistin in klobigen Schuhen auf die Bretter stolperte, und den Gott der Zeit mit einem groben Schwerthieb zu Boden schlug. Mit goldenem Klang erhob sie ihre Stimme und untermalt von den warmen Tönen eines Cembalos im Orchestergraben, trällerte die hübsche junge Frau ihre Arie, die insgesamt wohl an die zwanzig Minuten gedauert hat. Es ging um die Gerechtigkeit, die immer siege, sogar über die Zeit, die Gerechtigkeit sei das einzige Ding auf Erden, dass ewig sei, selbst die Erde müsse ja vergehen, weil sie ungerecht wäre und nur die Rechtschaffenheit und das Recht führten ins...

...bong bong bong … bong bong bong …

Gerade als Julisanda sich beklagen wollte über den aufgedunsenen Bombast und das Übermaß an Allegorie, sowohl in der Inszenierung als im Text, dem das Stück zugrunde lag, erklang von draußen lauter Glockenklang. Erschrocken waren die Besucher aufgesprungen. Was sollte das bedeuten?
Dann wurden die Türen des Zuschauerraums aufgerissen, die Bediensteten des Theaters machten Licht und riefen laut: „Feuer! Feuer! Feuer! Die Stadt brennt.“

Es war nun so, dass einer der Studenten der Akademie über seinem Studieren und dem Schreiben großer Oden einen Anfall milden Cäsarenwahns erlitten hatte. In diesem glaubte er, Kaiser Nero zu sein, die Stadt vor seinem Balkon hielt er für Rom. Trunken und begeistert war der arme Jüngling nun hinaus gelaufen, hatte Feuer an die Häuser und Kirchen gelegt, laut gelacht, geschrien, sich am Boden gewälzt, beleuchtet vom roten Schein des Feuers, getrieben von Gefühlen der Größe.

Die Stadt war in Aufruhr, ein jeder versuchte, sein Hab und Gut zu retten, unfreundlich stieß man sich zur Seite und keifte ohne Pause böse Worte.

Das Manottidil und Julisanda waren aber klug gewesen, hatten die Stadt auf schnellstem Wege verlassen und den Weg Richtung Norden angetreten.

Und so endet die Geschichte der großen Stadt San Giacomo, dem Stern der Bildung Europas, die in einer einzigen Nacht zu Scherben und Asche verbrannt ist. Heute wachsen an ihrer Stelle Disteln und der Sonnenhut.


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